Andreas Neuenkirchen veröffentlichte beim deutschen Conbook-Verlag in der Reihe Länderkrimis bereits zwei Romane, die in Japan spielen. Zwei weitere sollen die Serie vervollständigen, die sich grob an den vier Jahreszeiten orientiert.
Schauplatz des ersten Buches ist, deckungsgleich zum Titel, der Yoyogi-Park in Tokyo. Eine weibliche Leiche wird dort gefunden, die junge Kommissarin Yuka Sato und ihr fülliger Assistent werden mit den Ermittlungen betraut. Dem ersten Anschein nach handelt es sich um ein rituelles Verbrechen, denn das Mädchen wurde offenbar nach dem Tod aufwendig frisiert und gekleidet. Sie trägt eine Art Tracht, die sich an der Kleidung von japanischen Comic-Superheldinnen orientiert und von jungen Frauen als Zugehörigkeit zur „Lolita“-Ästhetik und Philosophie getragen wird. So taucht der Leser von Anfang an in ein faszinierendes Thema der zeitgenössischen, japanischen Popkultur ein. Auf der Jagd nach dem Mörder durchwandern die Beamten die japanische Hauptstadt, sie machen die Bekanntschaft sowohl von Stars und Sternchen des japanischen Fernsehens als auch von verschiedenen Persönlichkeiten des organisierten Verbrechens.
Die Geschichte hat originelle Züge an sich und bezieht verschiedene Elemente der japanischen Gesellschaft wie der Mangel an Wohnraum, ihr Umgang mit Sexualität oder das Frauenbild mit ein. Die Beschreibung der alltäglichen Kultur wirkt schlüssig und dicht, es fällt auf jeden Fall auf, dass der Autor hier über ein breites Wissen verfügt. Der Leser erhält eine hohe Anzahl von Informationen über die Rolle der Frau in der Gesellschaft und im Beruf, die Kaffeetrinkkultur, die Medienlandschaft, die Immobiliensituation und das Rotlichtmilieu des Landes. Die Ereignisse um Fukushima und ihre Konsequenzen werden im Roman verarbeitet und verleihen ihm zusätzlich an Aktualität. Dabei entscheidet sich Neuenkirchen für eine weitgehend humorvolle Herangehensweise, wie als er beschreibt, dass zu den wichtigen Energiesparmaßnahmen beispielsweise der minimalistische Gebrauch von Klimaanlagen gehört und dies offenbar als einschneidendes Erlebnis deutet.
Humor spielt bei Neuenkirchen eine wichtige Rolle. Die Neckereien zwischen der Inspektorin Sato und ihrem Assistentin zum Beispiel oder auch die selbstkritischen Gedanken von Yuka Sato sind sehr unterhaltsam. Die inneren Gespräche verschiedener Figuren im Buch zeugen an sich von einem Gespür für komische Situationen und einem Geschmack für schwarzen, trockenen Humor. Neuenkirchens Sprache ist lebendig und ungekünstelt, obwohl stellenweise etwas holprige Formulierungen entstanden sind und dazu führen, dass man einzelne Abschnitte mehrfach oder genau lesen muss, von der Auflösung der Geschichte nicht abgehängt zu werden. Etwas fremd wirkt auch die Verwendung von englischsprachigen Bezeichnungen für die Ränge der japanischen Polizei, zumal ansonsten positiverweise gänzlich darauf verzichtet wird. Als große Stärke des Romans kann aufgeführt werden, dass kulturelle Eigenheiten der japanischen Kultur so eingeführt und erörtert werden, dass der Leser sich nicht ständig belehrt fühlt.
„Yoyogi Park“ überzeugt gerade dank diesen Aspektes. Er ermöglicht allen Interessierten, erste Eindrücke über diese andere Kulturregion zu erhalten oder die besprochenen Thematiken mit eigenen Kenntnissen und Erfahrungen zu vergleichen. Das Gewicht auf eine weibliche Hauptfigur zu legen, erscheint ebenfalls besonders, vor allem da der Autor andeutet, wie schwierig es in der Realität in Japan für selbstständige berufstätige Frauen in einer von Männer dominierten Berufswelt ist.
Der motivierte Leser soll als Letztes noch darauf hingewiesen werden, dass der Roman eindeutig für ein nicht-japanisches Publikum verfasst wurde, damit nicht vielleicht angenommen wird, es handle sich um authentische japanische Literatur im engen Sinn. Japanische zeitgenössische Autoren beschreiben, was sich auch von selbst versteht, viel weniger oder gar nicht einzelne kulturelle Phänomene. Zudem wirken ihre Texte grundsätzlich ruhiger und lakonischer.
„Yoyogi Park“ von Andreas Neuenkirchen, Conbook-Verlag, Taschenbuch, 352 Seiten, weitere Informationen hier